Demos gegen rechts – Noras Antwort

Rechts

Pinnow, 16. Februar 2024

Oh ja liebe Barbara,
ich habe eine Meinung dazu.
Plötzlich rennen sie alle auf die Straße, alle meine „woken“ Nachbarn, die ganze „woke“ Gesellschaft. Meine Sofie war auch mit dabei, meine Schwester, unser halbes Dorf, all unsere Berliner meinen plötzlich hier in der Uckermark Flagge zeigen zu müssen. Aber wo waren sie als die Bauern auf die Straße gegangen sind?
Und gegen wen demonstrieren sie da jetzt eigentlich. Gegen rechts. Wer oder was ist rechts? Werde ich nicht auch als rechts eingestuft? Weil ich der gesellschaftspolitischen Entwicklung seit bald vier Jahren sehr kritisch gegenüberstehe? –  erst als „Coronaleugner“, als „Querdenker“, „Impfverweigerer“, „Covidiot“, „Putinversteher“ – das alles zusammen ergibt doch mindestens rechts.
Wer initiiert diese Demos, die ja wirklich wie Pilze aus dem Boden sprießen? Gegen rechts, gegen Rassismus, gegen die AfD, gegen Hass und Hetze…
Während Corona habe ich u.a. gelernt lieber für etwas als gegen etwas zu sein. Und wenn ich dann auch noch sehe, dass da in vorderster Front Banner getragen werden mit der Aufforderung:  „Tötet Nazis!“, dann graust es mir. Ist das nicht Hetze, ist das nicht Hass? Was passiert da? Warum verschließen so viele Menschen ihre Augen davor?
Und denken dabei, sie wären so wach. Plötzlich wissen sie alle, wie sie sich 1933 verhalten hätten. Aber wissen sie es wirklich?
Wer ist gut? Wer ist böse? Wer entscheidet das?
Wofür stehen diese Demos? Sind sie (vielleicht nicht auch) ein Ablenkungsmanöver? Zum Beispiel von den Bauernprotesten?
Vor zwei Wochen fand in Prenzlau eine Demo gegen rechts statt, morgen die nächste in Angermünde, in Templin gab es eine, in Schwedt.  Über den Verteiler unseres „Alten Gemeindehauses“ werden wir darüber informiert und durch die Blume aufgefordert teilzunehmen „Es wäre schön“, schreibt der Vereinsvorsitzende“, wenn wir uns morgen in Angermünde sehen“. Komisch – zu den Bauernprotesten wollte er mich nicht sehen. Auch nicht als ich für unser Grundgesetz und (in dem Fall) GEGEN die Impfpflicht auf die Straße gegangen bin. Wohl aber als es plötzlich überzählige Impfdosen gab, für die Abnehmer gesucht wurden.

Die Demo morgen in Angermünde richtet sich gegen Hass und Hetze und wirbt für Vielfalt, Toleranz und Miteinander. Immerhin, das finde ich gut, ist sie nicht nur gegen, sondern auch für etwas. Und zwar alles Dinge, für die ich auch stehe. Die ich aber gerade auf diesen Demos vielfach nicht erlebe.

Was mich explizit stört ist dieser Tenor gegen die AfD. Roland Rottenfußer fragt in einem Artikel, der bei Manova erschienen ist und meines Erachtens den Nagel auf den Kopf trifft: „Wird, da nichts mehr für diese Führungsriege spricht, der Hass auf die Opposition und die Angst vor ihr als letzte Karte gezogen, um als Koalition des geringeren Übels mehr schlecht als recht weiterzuwurschteln?“
Warum, so müsste sich die Führungsriege doch fragen, hat die AfD – übrigens eine demokratisch gewählte Partei – so viel Zulauf?
Wen soll man wählen, wenn keine Partei wählbar ist? Wenn uns von allen mehr oder weniger offen ins Gesicht gelogen wird? Für mich gibt es keine Partei, die ich guten Gewissens wählen könnte.

Das liebe Barbara (und noch viel mehr) geht mir dazu durch den Kopf. Was sagst du dazu?

Liebe Grüße,
Nora.

 

 

 

 

PS: Diese beiden Artikel findeich sehr lesenswert: https://www.nachdenkseiten.de/?p=110440
https://www.manova.news/artikel/alles-was-rechts-ist-3.pdf

Denkt die wie wir?

Corona steht noch immer zwischen uns

Berlin, 14. Februar 2024

Liebe Nora,

ich habe ein wenig Schiss, anzusprechen, was ich dir schreiben möchte, finde es aber wichtig und vertraue darauf, dass du das, was du sagst auch meinst und lebst.
Nach wie vor fand ich unseren freitäglichen Abend mir Rios Irrlichtern im „Peter Edel“ grandios, allerdings gab es für mich auch einen kleinen (großen?) Wermutstropfen. Deine Freundin Kristina, die ich eigentlich total sympathisch finde, ließ mehrfach Bemerkungen fallen, die mir echt sauer aufgestoßen sind. Du kannst dir womöglich denken, was ich meine, obwohl, vielleicht hörst du es gar nicht, weil du dich nicht betroffen fühlst, wenn Kristina fragt (was wie gesagt mehrfach geschehen ist): „Gehört der zu uns?“ oder „Denkt die wie wir?“.
Ich finde das total krass. Mir hat sich sofort alles zusammengezogen. Ich war zwar mit euch unterwegs, hatte eben noch mit euch rumgealbert und fühlte mich im nächsten Moment komplett ausgeschlossen. Zwar war ich nicht gemeint, also ich als Kristina, dennoch fühlte ich mich im Kern getroffen. Diese paar Worte haben eine Front aufgezogen. Das war eine imaginäre Konfrontation. Corona steht noch immer zwischen uns.
Nun frage ich dich: Wie stehst du dazu? Hast du es überhaupt bemerkt?
In banger Erwartung deiner Antwort, grüße ich dich – gewohnt herzlich, Suse.

Demos gegen Rechts

Hast du eine Meinung dazu?

Berlin, 12. Februar 2024

Hej Nora,

kannst du mir auf die Sprünge helfen? Ich bin total überfordert.  Von überall höre ich, dass Freunde und Bekannte an Demos gegen die AfD teilnehmen. Diese Veranstaltungen scheinen ja wie Pilze aus dem Boden zu sprießen. Hast du eine Meinung dazu? Ich weiß gar nicht, was ich davon halten soll.
Ich danke dir, Barbara.

Es tut zu weh

Absage

Grieth, 11. Februar 2024

Liebe Nora,

ich habe gerade versucht dich anzurufen. Da ich dich nicht erreiche, schreibe ich dir, was ich dir gerne persönlich mitgeteilt hätte.
Nach wie vor bin ich begeistert von deinen Projekten und finde sie wichtig. Dennoch werde ich mich nicht beteiligen. Ich bin inzwischen siebenundsiebzig und habe beschlossen, mich nur noch mit den schönen Dingen des Lebens zu beschäftigen. Zurückzuschauen wäre zu schmerzhaft, die Wende und unser Ankommen hier waren schwere Zeiten, dorthin zurückzukehren, auch wenn es nur in Gedanken ist, will ich mir nicht antun, das würde zu sehr wehtun.
Ich denke, das wirst du verstehen.
Komm du gut durch diese – auch wieder ver-rückten Zeiten,

liebe Grüße, Hannelore.

Was ist dran an der Überheblichkeit des Westens über den Osten

Wird es mit einem neuen Thema weitergehen?

Pinnow, 4. Februar 2024

Liebe Hannelore,

jetzt ist es schon wieder Februar. Ich wollte dir doch längst geschrieben haben. Aber mein Leben hält mich auf Trab. Du kennst das. Wird das irgendwann einmal anders? Wenn ich von dir und deinem vielen Tun lese, habe ich nicht den Eindruck. Vielleicht ist das auch gut so.

Erinnerst du dich noch an das Theater am Rand, von dem ich zu Beginn der CoronaZeit geschrieben hatte? Die beiden Intendanten hatten damals einen tollen Weg gefunden, um sich dieser ver-rückten Zeit und ihren unterschiedlichen Auffassungen anzunähern – über die Kunst. Mit einem Stück wollten sie sich und dem Publikum begegnen. „Südliche Autobahn“ von Julio Cortázar . Geschrieben 1966, über einen Stau vor Paris, der Monate dauert. Ich habe es mir geschaut und mich gefragt: Was wollten die Künstler uns damit sagen? Oder vielmehr der Künstler. Es stand nur Thomas Rühmann auf der Bühne. Tobias Morgenstern, der Rühmann und dessen Lesungen sonst immer musikalisch begleitete (oder vielmehr interpretierte) fehlte. Die Musik kam aus der Dose. Das fand ich merkwürdig. Später sickerte durch, dass Corona die beiden  getrennt hatte – die Kunst verband nicht mehr.
Vor zwei Wochen nun las ich das Tobias Morgenstern, dessen Meinungen zum Zeitgeschehen ich teile, das Theater verlassen hat. Das bedauere ich sehr. Denn zuletzt war ich überwiegend zu seinen Veranstaltungen im Theater. Er hatte dort eine tolle Reihe ins Leben gerufen: Freies Wort – Freie Musik.  Philine Conrad, die einige dieser Veranstaltungen moderierte, schrieb einen Abschiedsbrief an Tobias Morgenstern, der in der Berliner Zeitung veröffentlicht wurde.
Philine Conrad ist gebürtige Kölnerin. Im Theater am Rand entdeckte sie einen Teil Deutschlands, der ihr so nicht bekannt war. Und damit bin ich bei meinem Thema und meiner eigentlichen Frage. Aber lies erst mal, was P.C. schreibt:

Zwei Jahre lang habe ich eine sehr wertvolle Reihe moderiert: „Freies Wort – Freie Musik“ im Theater am Rand in Oderaue, Brandenburg. Nicht nur, dass mich der Ort und die Gegend fasziniert haben (die wunderschön ist, mit Kranichen, Störchen und Graureihern – auch habe ich das damalige Fischsterben in der Oder live mitbekommen und die ausbleibende Unterstützung von Behörden und Regierung sowie die Wut der Anwohner über das Alleingelassenwerden; übrigens dieselbe Stimmung wie im Ahrtal damals.)

Es haben mich vor allem die Gespräche und Kamingespräche im Künstlerhaus in einer tiefen, intensiven Form bereichert, erfüllt und geistig erweitern und wachsen lassen. Die Überheblichkeit des Westens über den Osten beziehungsweise der Wessis gegenüber den Ossis war und ist nach wie vor zu spüren, und ich bin jedes Mal sehr bewegt nach Köln zurückgefahren. Denn so bin auch ich aufgewachsen in einem Umfeld: „Die DDR, die schlimme Diktatur, die ungebildeten und etwas dummen Ossis, die nichts von der Welt mitbekommen und daher nur einen begrenzten Horizont haben.“ Ich habe dieses ehemalige, einst andere Land ganz anders kennengelernt. Vor allem die Menschen, das Miteinander und die Reflexion über politische Entwicklungen. Es ist irre, wie kluge, durchdachte, verknüpfende und über den Tellerrand hinausblickende Prognosen und Analysen ich hören durfte. Es hat mich sehr bewegt, geprägt und bereichert.

Was sie schreibt, bewegt nun wieder mich. Rührt mich.
Ich hatte dir von der Lesung erzählt, die ich mit Papa besucht hatte – der Literaturprofessor Dirk Oschmann las aus seinem Buch: Der Osten eine westdeutsche Erfindung. Hast du es inzwischen gelesen? Oder darüber? – Oschmann und sein Buch bekamen in der Presse viel Aufmerksamkeit.
Ich würde mich so gerne mit dir darüber austauschen. Deine Geschichte, dein Zurückschauen, wie war es nach der Wende als Professorin aus dem Osten in den Westen zu gehen? Hast du die „Wiedervereinigung“ als Wiedervereinigung erlebt? Oder als Vereinnahmung? Oder … was gibt es noch? Und wie erlebst du heute nach dreißig Jahren im Ruhrgebiet das Zusammensein?
Liebe Hannelore, das ist so ein wichtiger Teil unserer Geschichte – es wäre toll, wenn du mir davon erzählen würdest, gerne auch in kleinen Happen, immer mal so zwischendurch – falls dich aus Versehen die Langeweile packt oder als Ablenkung in deinem Tun.

Ich tue jetzt aber auch erst mal weiter.
Ganz liebe Grüße,
Nora.