Ende der Maskerade

Es bleibt schwer

Pinnow, 15. Mai 2024

Hey liebe Emma,

so schnell lasse ich mir kein schlechtes Gewissen machen. Naja, ein kleines bisschen schon.
Du hast jedenfalls richtig vermutet, mein Leben ist aufregend und schnell, gerade galoppiert es. Aber es ist ein schönes Galoppieren. Eine Idee jagt die nächste, ich begegne ständig tollen Menschen und die Kinder sind großartig (mit mir – wir mit uns).

Leider kann ich nicht alles gleichzeitig machen. Gerade schreibe ich an fünf Projekten. Sophie fragte mich erst gestern, wie das ginge. Es geht nicht. Irgendetwas fällt immer hinten runter. Nebenbei muss ich auch noch Geld verdienen. Also strukturiere ich mich – jeden Tag neu und bin morgens selbst gespannt, wo denn heute der Fokus liegen wird.

Am vergangenen Wochenende lag er ganz eindeutig auf Erholung. Drei Tage lang erpaddelte oder „ertrieb“ ich mir mit meinem neuen Paddelboot meinen Haussee. Nur ich, der Schwan, zwei Haubentaucher und irgendwo hinter den Uferbirken auf der Wiese das Tröterötö der Kraniche. Und Libellen, blaue, grüne, rote – auf gelb knospenden Seerosen. Das war Auftanken. Und eigentlich könnte ich jederzeit wieder aufs Wasser.  Eigentlich und könnte – du kennst das …

Was macht dein morgendliches Lagerfeuer? Holst du dir da die Inspiration für deine grandiosen Einfälle.
Emma, ich bewundere dich – auf welche Ideen du kommst, da schreibst du dem Vorstand einfach, dass du einen Abschied brauchst mit Gespräch und Geschenk. Das finde ich unglaublich! Toll. Ich liebe es, Dinge zu machen, die niemand erwartet, mit denen niemand rechnet. Und wenn sie dann noch um der „Völkerverständigung“ Willen geschehen …
Ich bin sehr, sehr gespannt, welche Reaktionen das auslöst. Ja bitte, halte mich unbedingt auf dem Laufenden.

Großartig fand ich auch, was du im vorletzten Brief geschrieben hast – spontan bei deiner Nachbarin zu klingeln und zu fragen, wie es ihr ergangen ist und das Bedürfnis zu äußern von dir zu erzählen. Genau darum geht es. Ich bekomme gleich wieder eine Gänsehaut. Was für eine schöne Erfahrung.

Aber es bleibt schwer. Verdammt schwer.
Vor allem offen zu bleiben, wenn man Sachen hört, die man nicht hören will, die man nicht verstehen kann. Neulich zum Beispiel hatte ich eine lange Autofahrt mit meiner Freundin Suse, wir haben die Zeit genutzt und das ganze Thema endlich einmal begonnen aufzurollen. Ausgangspunkt war ein gemeinsamer Konzertbesuch zu dem uns meine Freundin Kristina begleitete. Ich kannte die Künstler und auch viele Gäste und Kristina fragte mehr als einmal: Ticken die wie wir?
Suse tickt nicht wie wir – und, das sagte sie mir später auf der Heimfahrt, fühlte sich durch Kristinas Fragen ausgegrenzt. Ich fand gut, dass sie mir das erzählte. So kamen wir erstmals ins Gespräch – Corona hatten wir immer ausgeklammert. Das heißt, ganz zum Anfang wollte sie noch mit Nachrichten von mir versorgt werden, ziemlich schnell aber waren ihr diese zu viel, sie hatte genug mit sich, ihrer Familie und ihrem Job zu tun.
Inzwischen, sagt sie, denke sie über vieles anders, insbesondere über die Impfung. Allerdings, das kam dann mehrfach als Argument, hatte man das nicht absehen, nicht vorausahnen können, schließlich sei der Wissenstand damals ein anderer gewesen, inzwischen jedoch hätte man mehr und andere Informationen.
Ehrlich, ich kann es nicht mehr hören. Und will es nicht gelten lassen. Was hat es mich an Nerven gekostet, mich durch das Internet zu lesen, mir Informationen zu holen, mich auszutauschen … Wenn ich dann höre, wir hätten vieles noch nicht gewusst. Da gilt es tief durchzuatmen.
Und natürlich höre ich es mir weiter an. Atme. Toleriere. Ängste. Vor was weiß ich nicht allem. Ganz groß, denke ich, dürfte heute die Angst vor dem Absturz eines Weltbildes sein, vor falschem Vertrauen …

Jedenfalls erinnerte ich Suse daran, dass sie mich im April/ Mai 2020 noch gebeten hatte, sie mit „meinen“ Nachrichten zu versorgen und auch daran, dass sie mich dann bat, sie nicht mehr zu versorgen. Weil es ihr zu viel war und man ja nicht alles lesen könne. Ihr Leben ohne das ganze Coronagebläse war ihr anstrengend genug. Total verständlich. Ich kenne das. Aber wird es besser, wenn man wegschaut?
Gut, wir waren im Gespräch – endlich!
Ein zweites Mal tief atmen musste ich allerdings, als sie darauf beharrte, wie falsch sie es noch heute fände, dass ich keine Maske getragen habe. Also erklärte ich ihr meine Gründe. Für dich nur kurz: 1. Das untrügliche Gefühl, einen Maulkorb aufgesetzt zu bekommen.
2. Gesundheitliche Beschwerden – vordergründig Schwindel. Und 3. Ein intuitives Gespür dafür, dass es nicht gesund sein kann, seine eigene Ausatemluft wieder einzuatmen – was in etlichen Studien nachzulesen war und ist (eingedenk der Fragwürdigkeit der Masken).

Und dann kam es: „Ja, aber …“ Ich konnte sagen, was ich wollte. Suse verstand nicht oder wollte sie nicht verstehen?, weshalb ich nicht zehn Minuten eine Maske aufsetzen könnte, um während meines Supermarkteinkaufs acht Menschen zu schützen (keine Ahnung, wie sie auf die acht kam) – an der Stelle kommt dann noch Grund 4) ich sah und sehe bis heute nicht, dass ich durch das Tragen einer Maske irgendwen vor irgendetwas geschützt hätte.
Ich redete wie gegen Windmühlen.
Suses Ohren waren zu. Oder ihr Kopf?
Was ist das Emma?

Schließlich wechselten wir das Thema. Wir drehten uns im Kreis.
Ich merke, wie ich gleich wieder verspanne.
Dabei geht es mir gerade so gut.
Ich sitze hier in Eberswalde (Hannes ist hier im Schwimmverein und hat Training) im Hofgarten des Café Kleinschmidts. Gleich bin ich mit dem Inhaber Christian Günther, der in der Coronazeit zum Freund geworden ist, verabredet. Christian hat, stell dir das mal vor, während der ganzen drei Corona-Jahre einfach weitergemacht, ohne sich an irgendeine G-Regel zu halten, ganz offiziell – weil er niemanden diskriminieren oder ausgrenzen mochte.
In seinem Kleinschmidtkurier – die beste Speisekarte der Welt, weil immer aktuell und mit inspirierenden Texten (von Christian selbst geschrieben) gespickt – hat er erst unlängst Rückschau gehalten. Ich werde ihn mal bitten, mir den Text zuzuschicken und leite ihn dann an dich weiter.

So da kommt er. Pünktlich auf die Minute.
Emma, ich hoffe, meine Ausführlichkeit entschädigt dich für das lange Warten,

liebste Grüße,
Nora.

 

Lest hier, was Emma zuletzt schrieb.

 

 

„Danke“ sagen und „Danke“ hören

Erwachsener Abschied

Löcknitz, 14. Mai 2024

Mensch Nora, du scheinst ja ein aufregendes Leben zu haben. Ich warte hier und warte und du schreibst und schreibst nicht.
Also schreibe ich wieder. Ohne dir damit ein schlechtes Gewissen machen zu wollen. Du darfst dich vielmehr gebauchpinselt fühlen – es tut mir gut, mit dir im Austausch zu sein, selbst wenn dieser wie eben heute mehr ein „Ich darf es mir von der Seele schreiben“ ist.

Nora, ich bin in meiner Aufarbeitung wieder ein Stückchen vorangekommen. Nachdem ich bei dieser Therapeutin war – vielen Dank für die Empfehlung – habe ich an den Vorstand unseres Kindergartenvereins (bei dem ich bis 2021 gearbeitet habe) geschrieben und glaube, das ist mir richtig gelungen. Es ging auch ganz leicht. Wie du so ist, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Jedenfalls habe ich geschrieben, dass ich jetzt an dem Punkt meiner persönlichen Nacharbeitung der zurückliegenden so ungemein turbulenten Zeiten angekommen bin, an dem ich mir einen erwachsenen und würdigen Abschied nehmen möchte. Dafür, schrieb ich, bräuchte ich noch ein Gespräch, in dem ich „Danke“ sagen und „Danke“ hören kann und gerne so verabschiedet werden möchte, wie es früher üblich war – mit Blumen und Geschenk, einfach weil ich mich mit dem Verein noch immer verbunden fühle und etwas Rituelles brauche, um abschließen zu können.
Nachdem ich den Brief vorhin abgeschickt habe, geht es mir gut, es fühlt sich erwachsen an und ich freue mich darauf, dieses Kapitel so beenden zu können.
Eine ähnliche Mail habe ich dann gleich noch an meine langjährige Kollegin geschrieben, die richtig böse zu mir gewesen ist. Nun bin ich neugierig, was passiert.
Ich halte dich auf dem Laufenden.

Liebe Grüße,
Emma.

 

Lest hier, was Emma zuletzt an Nora schrieb.

Es gibt immer auch die andere Seite

Was sagt Rühmann?

Berlin, 10. Mai 2024

Liebe Nori,

das, was du von Wenzel schreibst, ist ja krass. Ich habe seinen Brief zwar noch nicht gelesen – bei mir ist Land unter, weil noch so viel für Friedos Jugendweihe vorzubereiten ist (war das bei uns auch so?) – aber Papa hatte mir neulich schon von einer Professorin erzählt, der einfach gekündigt worden ist, unter fadenscheinigem Vorwand, weil sie Positionen bezieht, die nicht wohlgelitten sind. Echt krass. Ich denke, das ist Zensur. Erschreckend. Und eigentlich müsste man sich damit beschäftigen. Aber wann? Wie machst du das?
Allerdings, das muss ich dich ehrlich fragen, schaust und hörst du dir auch alle Seiten an? Damit bin ich beim Theater am Rand: Du schreibst nur, was Tobias Morgenstern dazu sagt und, was du von deinen Künstlerfreunden gehört hast, das klingt auch alles total einleuchtend, ABER es ist nur die eine Seite. Das ist genau wie bei Jens und dir, du erzählst mir deine Sicht und Jens würde, wenn er denn erzählen würde, vermutlich was anderes erzählen. Jeder aus seiner Perspektive.
Von daher wäre es doch eigentlich richtig gut, wenn du Thomas Rühmann mal fragen würdest, was er zu der ganzen Angelegenheit sagt? Das kannst du doch, immerhin bist du Journalistin. Womöglich hat das aber auch schon ein Kollege von dir getan. Wenn du dazu etwas findest, schicke es mir gerne zu, dafür nehme ich mir dann die Zeit.  Spätestens nach der Jugendweihe 🙂
Ich weiß immer noch nicht was ich anziehen soll. Dein italienisches Kleid wäre perfekt, mhm. Es wird sich schon was finden. Zwei Wochen habe ich ja noch.
Aber jetzt noch mal zurück zu Mamas Geburtstag – ich denke, Wenzel ist nicht so ihr Ding. Wenngleich ich die Idee, jetzt erst Recht zu seinen Konzerten zu gehen, gut finde. Wann schreibst du, ist das Konzert in Friedrichshagen? Am 28. Juni – da ist die Jugendweihe durch – was hältst du davon, wenn wir beide dahingehen, so ein Schwesternding wäre ja auch mal wieder schön. Und Mama  würde ich weiterhin gerne ins Theater am Rand einladen. Schaust du mal nach einem Stück ohne Rühmann?

Ich drück dich.
Deine Kathi.

 

Lest hier Noras letzten Brief an Katharina.

Eine Zensur findet nicht statt

Freundliches Auftrittsverbot für Wenzel

Pinnow, 7. Mai 2024

Liebe Kathi,

bevor du antwortest, melde ich mich schnell noch einmal.
Ich habe nämlich fast eine (Alternativ)Veranstaltung gefunden. Leider ist sie schon vorbei. Am 1. Mai spielte Wenzel im Theater am Rand. Wenn ich das gewusst hätte. Verpasst!
Kennst du Wenzel? Ein toller Musiker und Freund von Tobias Morgenstern. Unlängst sah ich im RBB eine richtig gute Doku über ihn – der Titel lautete: „Glaubt nicht, was ich singe“. In der Ankündigung wurde er als „Querkopf aus Leidenschaft“ beschrieben. Querkopf, kein Querdenker. Wo ist der Unterschied? Wer macht den?
Kathi, ich bin so angefressen. Ich lese gerade in der „Jungen Welt“ vom Samstag. Darin ist ein Offener Brief von Wenzel an das Werk 2 in Leipzig abgedruckt. Dort war Wenzel im Januar aufgetreten und hat offenbar Dinge angesprochen, Dinge klar benannt, die seiner Meinung nach politisch und gesellschaftlich gerade falsch laufen. Daraufhin hat ihm der Veranstalter in einem Brief nun mitgeteilt, dass Wenzel künftig nicht mehr im Werk 2 spielen dürfe. Weißt du, was das bedeutet?
Auftrittsverbot!!!
Just am Freitag war ich zu einer Ausstellung, die da hieß: Eine Zensur findet nicht statt. (Falls sie dich interessiert, sie läuft noch heute und morgen, jeweils von 16- 20 Uhr im Kunstraum Reuter in der Reuterstraße 82 in Neukölln. Und im Katalog ist ein kleiner Auszug aus meinem Briefwechselblog hier 🙂 )
Doch! Findet sie!
Lies mal Wenzels Offenen Brief! Ich finde, er hat großartig reagiert.
Vielleicht hast du nach der Lektüre ebenfalls Lust umzuschwenken, und Mama mit mir nach Friedrichshagen ins Freiluftkino einzuladen – am 28. Juni spielt Wenzel dort.
Gib mal bitte Bescheid, dann kümmere ich mich um Karten.

Liebste Grüße,
Nori.

 

 

Ergänzung zu Noras Brief vom 3. Mai 2024.

 

„Paradebeispiel“ für die Spaltung unserer Gesellschaft

Das Theater am Rand – eine Freundschaft, die nicht mehr ist

Pinnow, 3. Mai 2024

Liebe Kathi,

deine Frage rumort in mir.
Tatsächlich frage ich mich selbst schon geraume Zeit, ob ich nochmal ins Theater am Rand gehen möchte. Mein Lieblingstheater – bis neulich.
Eigentlich hatte ich beschlossen, dass ich nicht mehr gehe.
Nun, da du fragst und es damit konkret wird, ringe ich mit mir.
Das Theater ist so ein schöner Ort. Geworden – durch die Vision zweier Freunde. Ich weiß gar nicht, ob du um die Entstehung weißt. Und noch weniger, ob du um die Entzweiung weißt. Wodurch – natürlich durch Corona.
Das Theater ist ein Paradebeispiel (vermutlich ist das Wort an dieser Stelle eher unpassend) für die Spaltung unserer Gesellschaft. Da war eine Freundschaft, die nicht mehr ist – wegen Corona, wegen unterschiedlicher Ansichten zum Umgang mit Corona.
Scheiße!
Im „Briefwechsel“ vom Mai 2020 steht noch geschrieben, wie toll die beiden reagiert haben, versuchen wollten, sich dem ganzen Problem literarisch zu nähern. Der Versuch ist gescheitert. Sie haben sich getrennt. Machten jeder Seins, keine gemeinsamen Auftritte, keine gemeinsamen Veranstaltungen mehr, und gingen sich auch so aus dem Weg.
Ich habe Tobias in dieser Zeit kennengelernt und ihn bewundert, wie wertschätzend er blieb, wenn es um Thomas Rühmann und das Auseinanderbrechen ging. Kein böses Wort, Sachlichkeit und eine Spur Traurigkeit. Das Gespräch, der Austausch, sagte Tobias einmal, fehlten ihm.
Wie tief der Riss war, erfuhr ich erst aus der Presse – „Tobias Morgenstern verlässt das Theater am Rand“. Seine Kollegin Philine Conrad, die ich mehrfach in der von Tobias initiierten  Gesprächsreihe „Freies Wort – Freie Musik“ erlebt habe, schrieb in der Berliner Zeitung einen wirklich schönen offenen Abschiedsbrief. Diesem entnahm ich, dass es zwischen den beiden also zwischen Tobias und Thomas Rühmann, manchmal hitzig und feurig wurde, dabei aber immer respektvoll blieb.
Inzwischen wage ich das zu bezweifeln, habe anderes gehört. Auch was Tobias auf seiner Homepage schreibt, lässt mich aufhorchen – da spricht er mal Klartext! Für mich klingt es nach einem Dolchstoß von hinterrücks durch die Brust. Alles nicht schön und rechtlich offenbar zweifelhaft. Das hat mich echt erschreckt.
Ich lese es immer wieder und es haut mich jedes Mal um.

Was mache ich nun?
Zum Theater gehören ja auch noch andere Menschen und auch die Randwirtschaft, in der ich sehr gern zu Gast bin.

Ich habe noch einmal eine Nacht drüber geschlafen und mich entschieden: Ich würde Mama gerne mit dir zusammen einen Ausflug mit uns beiden ins Theater am Rand schenken – allerdings habe ich keine Lust auf Thomas Rühmann. Wenn ich also dabei sein soll, was ich gerne möchte, müssten wir ein anderes Stück aussuchen.
Wäre das für dich in Ordnung?

Liebe Grüße,
Nori.

 

Lest hier, was Katharina zuvor an Nora schrieb.